Steht Arbeitssicherheit im Widerspruch zum Einsatz von KI und kollaborativer Robotik? Mitnichten, sagt Ingmar Zink, HSE-Fachreferent und Sachverständiger für Maschinen- und Anlagensicherheit. Ebenso muss eine aktive Sicherheitskultur nicht der Produktivit

>> Bericht im Magazin Factory | Ausgabe 02/2023 - Februar 2023 <<

 

FACTORY: Was ist Ihr täglich Brot als Maschinensicherheits-Experte?

Ingmar Zink: Wir machen beispielsweise Analysen, bevor eine Maschine umgebaut oder ganz neu konstruiert wird. Und wir überlegen uns im Vorfeld hypothetische Szenarien, um die schwereren Vorfälle ausschließen zu können. Unsere Kund:innen haben meistens mit Behörden wie Bezirkshauptmannschaften zu tun. Und da geht es um Themen wie Gewerbegenehmigungen, allgemeine Kennzeichnungsthemen und technische Dokumentation. Und auch deren Kundschaft, also die Anwenderseite, muss bestimmte Nachweise erbringen. Viele interessiert auch, wie die aktuelle Rechtsprechung aussieht und wie sie mit den vorgegebenen Rahmenbedingungen konkret umgehen sollen.

Worauf schauen Sie da im Besonderen?

Der Schwerpunkt liegt natürlich auf der Maschinensicherheit. Maschinen sind immer die Hauptgefahrenquellen. Uns geht es darum, das Arbeitsumfeld zu sensibilisieren, während gleichzeitig eine produktive Tätigkeit verrichtet werden kann.

Automatisierung und künstliche Intelligenz sind in aller Munde – inwiefern schreiben sie auch das Kapitel Safety neu?

Das steckt gerade noch in den Kinderschuhen. Aber es gibt schon Konzepte und erste Anwendungen, die meiner Meinung nach das Thema Arbeitssicherheit revolutionieren werden.

Wie stellen Sie sich diese „Revolution der Arbeitssicherheit“ vor?

Konkret wird man dann durch die Fertigung wandeln und die Roboter, die sich im Einzugsbereich befinden, gehen in eine Art Grundstellung oder führen einen sicheren Halt aus. Das wird mit Überwachungssystemen funktionieren, die mithilfe künstlicher Intelligenzen Muster erkennen. Ein sicherheitstechnisches Problem bei Maschinen ist ja, dass sie nicht wissen, ob Menschen anwesend sind oder nicht. Es gibt schon gute Systeme – Radarsysteme, optische Kamera- und Überwachungssysteme – aber für die Auswertung fehlt es noch an vernünftiger Technik. Und die wird höchstwahrscheinlich kommen. So etwas ist natürlich sehr teuer. Aber bei großen, hochautomatisierten Fertigungssystemen, wie im Automobilbereich, wird es sich lohnen.

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Ingmar Zink
Fachreferent für Maschinen- & Anlagensicherheit

„Jeder Arbeitsunfall kostet bares Geld“

Immer häufiger liest man den Begriff Industrie 5.0. Inwiefern ist dieses Verständnis des Menschen im Mittelpunkt der Produktion bei Ihnen Thema?

Was mit Industrie 5.0 gemeint ist, ist die Kollaboration zwischen Mensch und Maschine. Ein klassisches Beispiel ist der Roboterarm, der dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterein von hinten den Kabelstrang reicht. Damit hier nichts passiert, haben manche Roboter berührungssensitive Oberflächen, sodass sie sofort reagieren, wenn sie wo anstoßen. Die Kräfte sind begrenzt, die Maschine kann erkennen, wie schwer das Teil ist, das es anhebt. So können Quetschgefahren deutlich reduziert werden. Hier sind sämtliche im Einsatz befindlichen Roboter schon auf dem neusten Stand der Technik.

Wie weit das sich das HSE-Management diesbezüglich in den letzten Jahren verändert?


Wir haben heute minimale Kräfte und minimale Beweglichkeiten, die zum Einsatz kommen. Früher ist man der maschinellen Gefahr mit Schutzzäunen und Abdeckungen begegnet. Wenn man die aufgemacht hat, ist der Roboter stehengeblieben, was aus der Fertigungs- und Maschinenverfügbarkeitssicht nicht optimal ist. Heute stimmt man die Kräfte auf die jeweilige Aufgabe ab. Deswegen braucht man weniger riesige Roboterarme, die mit solchen Kräften arbeitet, dass es gefährlich wird. Das ist in den letzten zehn Jahren der große Turnaround: von den Standard-Lösungen, die eigentlich alles abdecken konnten, zu sehr anwendungsspezifischen Einzelfall-Lösungen.

Oft gehen Diskussionen in die Richtung „Cobot oder Sicherheit“. Muss das aus Ihrer Sicht gar kein Widerspruch sein?


Der Teufel steckt im Detail. Und hier genau hinzusehen, ist die Aufgabe von uns Expert:innen. Wenn man viele komplexe, robotische Einheiten hat, die interagieren und dann noch der Mensch dazwischen arbeitet, wird es sehr komplex. Und das ist ein hoher Analyseaufwand, der auch hohe Kosten mit sich bringt. Wenn man diesen Aufwand in Kauf nimmt und einen Arbeitsunfall wirklich ausschließen kann, während sich Mitarbeiter:innen zwischen zwei robotischen Systemen aufhalten, habe ich einen Riesennutzen in der Fertigung.

Nun zu einer weniger technischen als vielmehr psychologischen Frage: Wie weit fließen Dinge wie Ermüdung der Mitarbeiter:innen oder das Nachlassen der Aufmerksamkeit in die Sicherheitskonzepte ein?

Der Arbeitsstress, die Arbeitsumgebung, die Lautstärke, Vibrationen, also alles, was einen Menschen psychisch am Arbeitsplatz belastet, muss berücksichtigt werden. Je unübersichtlicher und belastender ein Arbeitsplatz ist, desto weniger darf ich dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin noch zusätzlich abverlangen. Das ist auch bei den Schutzzielen mitbedacht.

Jetzt haben wir über einige Trends gesprochen. Was sind denn die Evergreens – welche Sicherheitsthemen sterben nie aus?


Die Grundfrage lautet immer: Durch welche Art von maschineller Gefahrensituation kommt es zum Arbeitsunfall? Das gibt es Quetschkräfte, Klemmkräfte und Stoßkräfte. Wir schauen, wie groß die Kraft und wie schnell die maschinelle Bewegung ist. Viele Hersteller denken, wenn die Bewegung langsam genug ist, sei alles ok. Aber dem ist nicht so. Bewegungsgeschwindigkeit wird oft überbewertet, dabei kommt es auf die Kraft an.

Wie können produzierende Unternehmen bei sich eine aktive Sicherheitskultur etablieren? Und wie unterstützen Sie sie dabei?


Ein wesentlicher Punkt in der Beratungstätigkeit ist die Sensibilisierung. Und da sind erstaunlicherweise die Vorgesetzten sensibilisierter als die Mitarbeiter:innen.

Warum ist das so?


Weil den Vorgesetzten immer bewusster wird, ist: jeder Arbeitsunfall, also jeder Tag Abwesenheit, der auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist, kostet bares Geld. Viele Branchen sind mittlerweile unterbesetzt. Daher müssen die Leute, die noch da sind, arbeitsfähig bleiben.

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Ingmar Zink
Fachreferent für Maschinen- & Anlagensicherheit

Die Grundfrage lautet immer: Durch welche Art von maschineller Gefahrensituation kommt es zum Arbeitsunfall?

Ich kann mir vorstellen, dass es auch eine Widersprüchlichkeit zwischen den Produktivitäts- und den Sicherheitsanforderungen gibt.

Das ist genau der Punkt: Produktivität muss nachhaltig sein. Wenn den Unternehmen zwei Facharbeiter ausfallen, haben sie auf einmal kein Dreischichtsystem mehr, sondern müssen im schlimmsten Fall ein Einschichtsystem fahren. Und haben nur noch ein Drittel ihrer ursprünglichen Produktionskapazität.

Und davon abgesehen, ist auch nicht jeder Mensch so einfach ersetzbar. Es bringt ja jeder auch seine Erfahrung und seine Persönlichkeit mit.


Das sowieso. In allen Unternehmen gibt es mittlerweile Complience-Regeln. Da stehen zwischenmenschliche Werte ganz oben. Und das findet in den Firmen auch wirklich Anklang. Also ich blicke da positiv in die industrielle Zukunft und sehe, dass da gute und sichere Arbeitsbedingungen geschaffen werden.

Trotzdem wird es ja nach wie vor Lücken geben, was die Sicherheit in den Unternehmen betrifft. Haben Sie noch einen Tipp, worauf sie in Zukunft mehr achtgeben sollten?


Es gibt kritische Situationen, wo oft nur durch reines Glück ein Arbeitsunfall vermieden wurde. Redet über diese Beinahe-Unfälle! Sie sind laut Gesetzgeber berichtspflichtig, aber ich bin mir nicht sicher, ob das immer gemacht wird. Ich sage das auch in meinen Schulungen: Melden Sie solche Situationen, arbeiten Sie sie kollegial auf und sagen Sie den Vorgesetzten, wenn etwas aus Ihrer Sicht nicht hinreichend abgesichert ist.